

Die Wilde Weiße ist ein Weißbierbock, der von der Forschungsbrauerei in München nur in der Weihnachtszeit hergestellt wird und dann natürlich auch in der neuen Marktschänke beim Viktualienmarkt zum Ausschank kommt. Die dortige Getränkekarte beschreibt den Geschmack als zart malzig, leicht gehopft und mit einer fruchtig frischen Note. Das Aussehen wird als schön dunkel bezeichnet. Die Stammwürze ist mit °P 19 angegeben. Der Alkoholgehalt beträgt acht Prozent. Wer diesen Weißbierbock wie ein normales Bier trinkt, hat ein intensives Geschmackserlebnis, bei dem die Durchblutung angeregt wird und eine rötliche Wärme in den Kopf steigt. Diese Vorgänge können oder müssen verlangsamt werden, indem man dem Getränk beim Verzehr die doppelte Zeit widmet. Die Wirkung mehrerer Weißbierböcke konnte ich bei einem Gast vor Weihnachten beobachten. Es heißt doch immer, dass Böcke in der Natur und in Bierform stoßen würden. Ich erlebte diesen bildhaften Vergleich tatsächlich in der Marktschänke.
Der junge Mann war mit mehreren Böcken gesegnet und bewegte sich mit geringen Richtungsänderungen auf die Glastüren an der Frauenstraße zu. Dabei kam es zu leichten Gangunsicherheiten. Immer wieder wurde er von unsichtbaren Böcken zurückgestoßen. Nach mehreren Anläufen gelang ihm das Verlassen der Marktschänke doch noch. Wie es dem jungen Bockbesitzer auf der Straße an der frischen Luft erging, kann man sich gut vorstellen. Die Böcke haben ihn einfach weiter gestoßen. Das war kein Kontrollverlust, sondern nur ein leichtes Sich-Bockig-Gebaren. Der Weißbierbock wollte seinem Ruf gerecht werden, dass er als Steigerungsform der Wahren Weißen eben eine Wilde Weiße ist. Beide sind übrigens unfiltrierte, nicht pasteurisierte, besonders wohlschmeckende Spezialitäten der Forschungsbrauerei, die sich sehr gut für den mehrfachen, aber wohl kontrollierten Genuss eignen.
Um nicht vollständig am Thema vorbei zu schreiben, komme ich jetzt zur wilden Kathi. Sie ist eine der Bedienungen oder Kellnerinnen im Bräustüberl der Forschungsbrauerei und in der Marktschänke am Viktualienmarkt. Den Grad der Wildheit kann ich zwar nicht umfassend beurteilen, aber man darf sich eine Vorstellung davon machen. Jedenfalls ist Kathi eine sehr angenehme Erscheinung, die über ein hohes Maß an Freundlichkeit verfügt und viele Arbeitstugenden zeigt.
Kathi und ich sind uns an ihrem ersten Arbeitstag in der Marktschänke begegnet. Beim zweiten Einsatz macht sie Bekanntschaft mit der Wilden Weißen. Ich sitze am Tisch gegenüber der Theke und erlebe eine besondere Gaudi. Der junge Weißbierbock weigert sich einfach, in ein Weißbierglas gefüllt zu werden. Er wehrt sich mit einer gewaltigen Schaumbildung. Kathi versucht ihn zu überlisten indem sie mehrere Weißbiergläser aufstellt und den Schaum auf diese verteilt. Das gefällt dem Bock aber sehr gut und er fühlt sich in seiner Schaumform in den vielen Gläsern sehr wohl. Da er nicht schrumpfen oder sich verflüssigen will, wendet Kathi eine zweite List an. Sie probiert den Gehörnten in der Waagerechten mit einer leichten Drehung ins Glas zu befördern. Das Ergebnis ist aber eine Verstärkung der Glasansammlung.
Kathi versucht nun das wilde Tier durch geduldiges Warten zu zähmen. Dabei macht es aber bockige Sprünge wie ein Wildpferd oder eben Stöße wie ein Bock, damit der viele Schaum sich nicht verflüssigt. Ich sitze in einer guten Beobachtungsposition und freue mich über alle mühevollen Versuche und geistreichen Unternehmungen der wilden Kathi mit dem Wilden Bock. Unsere Blicke treffen sich und bewirken ein Hilfe suchendes und ein verständnisvolles, gemeinsames Lächeln, das den Schaum zur Flüssigkeit werden lässt. Endlich kann Kathi ein Glas mit der Wilden Weißen servieren.
Der Weißbierbock hat somit nicht nur die Eigenschaft, bei übertriebenem Konsum Bewegungsfähigkeit und Wirklichkeitswahrnehmung zu beeinträchtigen, sondern auch das Vermögen, dass sich Gast und Kellnerin ein wenig kennen lernen. Beide brauchen sich doch so wie Wirtshäuser das Besuchen, Weißbier das Schäumen und Böcke das Stoßen. Mittlerweile hat sich der damals noch ganz junge Weißbierbock beruhigt und fließt gemächlich in ein einziges Glas. Schön ist es aber schon, wenn die Böcke stoßen.

Hihi, sehr nett geschrieben. Das wilde Böckchen möchte ich jetzt direkt probieren.
Wie ich sehe, warst Du auch auf dem Japanfest – ein sehr schönes Motiv, das Du da eingefangen hast.
Herzliche Grüße aus dem tiefen Südwesten schickt Petra
Liebe Petra, vielen Dank, dass Du Gefallen an der Geschichte und dem Motiv mitteilst. Zum Text fällt mir die Erkenntnis von Valentin ein, dass jedes Ding drei Seiten habe, eine positive, eine negative und eine komische. Eine vierte Seite wäre die Schönheit, die beim Fotomotiv festzustellen ist. Man kann aber auch im Wirtshaus sitzen oder über das Japanfest gehen ohne diese Seiten wahrzunehmen. Herzliche Grüße vom Tivoli in den Wilden Südwesten, Josef
Lieber Sepp,
Die Geschichte ist sehr amüsant, ich bewundere deine lebhafte Fantasie.
Viele Grüße
Agnes und Lisa-Maria
Liebe Agnes und Lisa-Maria, eigentlich fällt mir gar nicht so viel ein. Oft muss man nur genau hinschauen, um in der Wirklichkeit das Komische zu erkennen. Vielen Dank und herzliche Grüße von München nach Ottmaring, Sepp
Köstlich … zum Schmunzeln und Mehrfach-Lesen.
Grüße aus Köln, Ingrid
Das freut mich. Der Kathi hat es auch sehr gut gefallen. Vielen Dank und herzliche Grüße aus München, Josef