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Altbayerische Onlineschau
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Nachdem ich schon 2020 meinen Senf zur Wirtshaus Wiesn gegeben hatte, lasse ich mich 2021 auch nicht lumpen und gehe wieder großzügig oder freigiebig mit Worten zum Thema um. Sachlich vernichtende Kritik darf natürlich nicht fehlen. Aufbauende Aussagen sind nicht notwendig, weil die Angelegenheit überflüssig und nur der Habgier von 51 Innenstadt- und Wiesnwirten entsprungen ist. Sie haben ein idiotisches Sauf- und Partybedürfnis ausgenutzt und fördern es, statt Kultur und Qualität anzubieten.
Diese vermeintlich wohltätigen Brüder im Gelde veranstalten keine Geschenke der Lebensfreude, sondern das Dümmste, was München wegen der zwei ausgefallenen Oktoberfeste passieren konnte. War es früher schon während der Wiesn nicht mehr möglich gewesen, einige Wirtshäuser zu besuchen, so ist dieser Missstand jetzt institutionalisiert worden und hat einen eigenen Namen bekommen.
Wortklauberei
Zuerst fällt auf, dass Wirtshaus und Wiesn überhaupt nicht zusammengehören, weil eine Wiese in kein Wirtshaus passt. Neben einem Wirtshaus kann sich jedoch eine Wiese befinden oder umgekehrt. Dabei ist sicherlich kein Wirts- oder Biergarten gemeint, weil dort der Boden beispielsweise aus Kieseln, Erde und Schotter oder vielleicht sogar aus Teer, Zement und Pflaster besteht. Biergärten machen aber schon bei der WirtshausWiesn mit.
Jetzt wird das Oktoberfest auch Wiesn genannt. Es findet nämlich auf der so bezeichneten Theresienwiese statt, die allerdings schon lange keine Wiese mehr ist. Mit der Natur kann man also die beiden Wörter nicht zusammenbringen. Vielleicht geht es mit der Kultur? Wirtshauskultur ist in München mancherorts durchaus gegeben, eine Oktoberfestkultur muss für die Jahre vor Corona bezweifelt werden. Wiesnkultur mit Brauchtum und Tradition sollte durch die Oide Wiesn wiederbelebt werden, die jedoch auch ein Opfer der Geschäftemacherei geworden ist. Der gemeine Münchner Wirtshaus- und Festgast denkt: Des passt ois hint und vorn ned zam!
Hoit aus! Mit Geschäft können die beiden Wörter inhaltlich und formal zusammengesetzt werden. Außerdem ist es möglich, dass ein Wirtshaus Feste feiert, und die Wiesn versteht sich ohnehin als Oktoberfest, welches mittlerweile sogar namensrechtlich geschützt wird. Und weil das Oktoberfest 2021 wieder nicht stattfindet, muss ein Ersatz für das fehlende Geschäft her. Viele Wirtshäuser sollen also viele Feste feiern, die dann in der Mehrzahl nicht Wirtshäuserwiesn genannt werden, weil die Einzahl mit Wirtshauswiesn gefälliger klingt.
Das liest sich aber noch schlechter als Wirtshaus Wiesn mit Leerzeichen oder Wirtshaus-Wiesn mit Bindestrich. Die zeitgemäße Lösung ist eine Binnenmajuskel oder Binnenversalie. Wer diese nicht kennt, ist hoffnungslos veraltet und hat einen Trend verschlafen. Es gibt jedoch auch ablehnende Rechtschreibfreunde wegen des Regelverstoßes oder Fehlers.
Hintergründe
Rechtschreibung ist den Wirten sicherlich egal. Das kennt man ja von vielen Speisekarten. Regeln fürs Geschäft sind den Gastgebern, die mittlerweile zu Betriebswirten mutiert sind, gar nicht so wichtig. Somit war die WirtshausWiesn in dieser Schreibweise geboren. Schnell fand man einen historischen Hintergrund, weil Münchner 1810 nach dem Pferderennen anlässlich der Hochzeit des Thronfolgers von der später so benannten Theresienwiese in städtische Wirtshäuser gezogen sind.
Jetzt fehlt aber noch das Salz in der Suppe. Unbestreitbar ist die Wiesn keine Wiese, also muss sie etwas anderes sein. Geschäft haben wir ja schon festgestellt. Da muss es noch Passenderes geben: ge-schäft, ge…, ge…, ge-fühl! Ja – was für ein Gefühl? Selbstverständlich ein Lebensgefühl. Damit ist ein bewusstes Gefühl gemeint, bei dem Menschen am wirklichen Leben teilhaben und mitten im Leben stehen. Wer deshalb nicht an der WirtshausWiesn teilnimmt, der lebt fast nicht, noch nicht oder nicht mehr. Lebendige werden somit von 51 Münchner Wirten animiert, deren Wirtshäuser aufzusuchen.
Innenstadtwirte, Wiesnwirte und Stadtverwaltung geben Vollgas mit Werbung für die WirtshausWiesn 2021. Die Letztere macht sich besonders lächerlich, weil sie nichts dabei verdient. Alle berufen sich auf Tradition und versuchen, ein fragwürdiges Lebensgefühl Wiesn anzubieten, einzureden oder aufzuzwingen. Insgesamt beabsichtigt man, die Abartigkeiten des städtischen Oktoberfests auf diesen Teil der Münchner Gastronomie zu übertragen.
2021 wird die Wirtshaus Wiesn von 2020 zusammengeschrieben, hat eine Binnenmajuskel bekommen und soll künftig als WirtshausWiesn regelmäßig veranstaltet werden. Das Motto lautet: Die Wiesn ist kein Ort, sondern ein Lebensgefühl.
Ausführungen
Diesen Leitspruch verstehen Burschenhorden mit und ohne ihre Weibchen als Freibrief für Remmidemmi, Rambazamba und Ballermann. Der Einlass wird auf Reservierungsgäste beschränkt, die regelmäßigen Wirtshausgästen ihre gewohnten Plätze wegnehmen. Werbung im Internet zieht ein vorwiegend junges Party-, Plärr-, Fress-, Sauf- und Kotz-Publikum an, das sich faschingsmäßig in minderwertige, trachtenähnliche Kleidung hüllt. Ausnahmen im Erscheinungsbild und Verhalten bestätigen die Regel.
In den Wirtshäusern werden Lebkuchenherzen aufgehängt und vermeintlich wiesntypische Speisen angeboten. Brauereien liefern selbstverständlich starkes Wiesnbier. Die überforderte Stadtverwaltung macht sich zum Komplizen mit Werbung für die überflüssige und wegen Corona immer noch gefahrvolle WirtshausWiesn. Alle zusammen bitten die Gäste, in Kleidung zu erscheinen, die sie für Tracht halten.
2020 war die Wirtshaus Wiesn noch beschränkt auf fünf Personen pro Tisch und nur wenig Musikanten im Lokal. Es gab keine Impfungen und einen unsicheren Blick in die Zukunft. Ein Jahr später finden vor den Gaststätten Kontrollen statt, ob die Gäste geimpft, genesen oder getestet sind. In den Gasträumen werden Tische mit einer fast schon unmöglichen Anzahl von Personen überbelegt. Bis auf die Maskenpflicht außerhalb der Tische sind alle Corona-Beschränkungen aufgehoben.
Einlasskontrollen, Reservierungen, Verzehrpflichten und Überfüllung kennzeichnen eigentlich das Oktoberfest und werden selbstverständlich bei der WirtshausWiesn wiederbelebt. Abzuwarten bleibt, wann Zäune und Taschenkontrollen vor den Wirtshäusern kommen, die ansatzweise schon vorhanden sind, z. B. der Bretterverhau auf dem Viktualienmarkt und die Einzäunung des Biergartens am Chinesischen Turm. Dort besteht übrigens noch die unsinnige Pflicht zur Personenregistrierung.
In meinen Augen missbrauchen Wirte die Münchner Wirtshauskultur und verhindern örtliche Lebensfreude mit angemessenem Feiern. Dazu gehören das freie, selbst bestimmte Dazusetzen und die gemütliche Gemeinschaft. Das Zauberwort der WirtshausWiesn heißt aber nicht Gemütlichkeit, sondern ausreserviert – am Telefon oder vor einem teilnehmenden Betrieb. Einzelne Gäste werden wegen der Pflicht zur Gruppenreservierung abgewiesen. Grimmige Türsteher und kampferprobte Sicherheitsdienste haben Hochkonjunktur wie auf dem Oktoberfest.
Gegenüber dem Vorjahr ist das musikalische Angebot der WirtshausWiesn 2021 umfangreicher und vielleicht sogar qualitätsorientierter geworden. Wirte haben somit gelernt, dass man für die eigene Habgier auch in Wirtshausmusik investieren muss. Gäste, die wegen einer bestimmten Blaskapelle kommen wollen, haben aber ohne Gruppenreservierungen keine Chance. Im musikalischen Bereich bleibt abzuwarten, wann die Partymusik die Wirtshausmusik verdrängt – so wie auf dem Oktoberfest und im vergleichbaren Fasching.
Hofbräuhaus
In den letzten Jahrzehnten war das Hofbräuhaus zum Hort der traditionellen Wirtshausmusik geworden. Einheimische Gäste hatten aber bedauert, dass musikalische Qualität und Originalität fast gänzlich nur mehr von internationalen Touristen wahrgenommen wurden. Wegen der immer noch andauernden Krise bleiben vor allem asiatische Touristen aus, trotzdem ist das Hofbräuhaus mittlerweile wieder gut besucht. Als berühmteste Wirtshaus der Welt wäre es gar nicht notwendig gewesen, an der WirtshausWiesn teilzunehmen.
So wie viele Betriebe fällt aber gegenwärtig auch das Hofbräuhaus mit verstärkter, marktschreierischer Werbung für diese Veranstaltung auf. Solche Aktivitäten wären gar nicht erforderlich, weil Bierpflege, Biergeschmack und Service gewohnt gut geblieben sind. Das musikalische Angebot befindet sich trotz Corona auf dem richtigen Weg. Insgesamt ist die Gästezahl ohne fragwürdige Wiesnaktionen hoch.
Der weltweite Ruf des Hofbräuhauses und die Attraktivität für Einheimische werden aber in diesen 16 Tagen durch Ballermann-Zustände mit unzumutbarem Gästeverhalten beschädigt. Nach meiner Wahrnehmung und der von etlichen regelmäßigen Gästen kommt hinzu, dass angeliefertes Speisenangebot zunehmend ungenießbar und die Hygiene fortschreitend vernachlässigt wird, z. B. in den Toiletten. Oberkellner reservieren gewohnte Tische von wöchentlich üblichen Münchner Gästen für einmalige, scheinwichtige Personen, die dann vielleicht verspätet und nur kurz kommen oder in Einzelfällen sogar ausbleiben.
Offensichtlich sind Verantwortliche im Hofbräuhaus nicht mehr in der Lage, Missstände zu beseitigen. Aufgaben und Pflichten werden durch einen stadtbekannten Streit beeinträchtigt. Innerhalb der Organisationsstruktur bestehen Probleme mit Zuständigkeiten. Kontrollen von innen und außen finden nicht statt, z. B. durch die staatlichen Eigentümer Finanzministerium und Brauerei Hofbräu sowie durch das lebensmittelrechtlich zuständige, städtische Kreisverwaltungsreferat.
Wegen der beschriebenen Probleme und Mängel ist es bedenklich, sich als regelmäßiger Münchner Hofbräuhausgast zu verstehen und zu bekennen. Man begegnet immer wieder Vorurteilen, dass sich dort nur Touristen mit minderwertiger Qualität abfertigen und einem Übermaß an Bier abfüllen lassen. Dagegen argumentiert das Hofbräuhaus mit zahlreichen Stammtischen aus allen Bevölkerungsschichten, deren Wahrnehmbarkeit sich aber offensichtlich nur mehr auf Schilder und Listen beschränkt. Die Reservierungen bei der WirtshausWiesn ziehen hingegen ein Publikum an, das Vorurteile bestätigt und nur einmalig kommt, um die sprichwörtliche Sau rauszulassen. Diese Veranstaltung schadet dem Ruf des Hofbräuhauses und ist überflüssig.
Wie so oft wird die Qualität zugunsten der Quantität geopfert. Leider werden heimatliche Traditionen wie das Dazusetzen, das gemeinschaftliche Wirtshaus Erleben und Gestalten für den Umsatz vernachlässigt. Zur Abhilfe bräuchte es eine Wirtspersönlichkeit mit vielfältigen Arbeitstugenden, keine Betriebswirte oder Abteilungsleiter mit einseitiger, zeitbegrenzter Aufgabenteilung. Insgesamt fehlt im Hofbräuhaus eine weibliche oder männliche Person mit natürlicher Autorität, die als bekannter, kompetenter und ansprechbarer Gastgeber und Vorgesetzter handelt.
Das berühmteste Wirtshaus der Welt braucht keinen Oktoberfestersatz. Es muss wieder der zentrale Münchner Ort für eine tägliche Festveranstaltung mit Festgästen, Festkapellen, Festessen und Festbier werden.
Fazit
Wenn Wiesn kein Ort, kein Termin oder keine Veranstaltung sein soll, sondern ein Gefühl in Zusammensetzung mit dem Leben, dann muss es sich eingrenzen lassen. Da kommt der Begriff der Freude ins Spiel – Lebensfreude. Eine solche war aber bei meinen Wirtshaus- und Biergartenbesuchen im Zeitraum der WirtshausWiesn 2021 nicht wahrzunehmen, obwohl ich empfänglich dafür bin. Dagegen waren meist kommerz- und alkoholbedingte Übertreibungen festzustellen.
Höhepunkt der Lächerlichkeit dieser Veranstaltung, die nur eine Aktion von scheinbar notleidenden, aber Lebensfreude schenkenden 51 Wirten war, ist die folgende Bilanz: Gut eine Million Besucher, 800 000 Maß Bier, 600 000 Brezn und 139 Schläge beim dezentralen Anzapfen der Bierfässer zum Auftakt.
Für mich beschädigt die WirtshausWiesn 2021 den Tourismus in München nicht nur im Hofbräuhaus, sondern auch in anderen teilnehmenden Betrieben, wie an der Vielzahl von Besoffenen in und vor Gaststätten zu sehen, zu hören und zu riechen ist. Auf weitere Kennzeichen möchte ich erst gar nicht eingehen, weil sie in meinem 2020er Beitrag zum Thema zahlreich beschrieben worden sind.
Jetzt könnte mir jemand raten, dass ich doch nicht hingehen brauche, wenn mir etwas nicht gefällt. Das lasse ich auch für private Betriebe gelten. Gepachtetes Staatseigentum in historisch und touristisch besonderer Lage verpflichtet aber zu einem qualitativ hochstehenden Angebot. Dort habe ich als regelmäßiger Gast, als Münchner und Bayer das Recht, heimatliche und gefällige Angebote zu bekommen und nicht mit Ballermann, Reservierungen und anderen Missständen belastet zu werden.
Lieber Sepp,
mit diesem Beitrag hast du wieder den Nagel auf den Kopf getroffen.
Ich befürchte, dass der Virus “WirtshausWiesn” bald mutieren wird und sich dann die verschiedenen Mutanten im ganzen Land ausbreiten werden, mit der Folge, dass das Wirtshaussterben beschleunigt wird, weil die Gäste ausbleiben werden, die die sinnlose Sauferei, das Geschrei, Gekotze usw, nicht ertragen wollen. Zeitlich begrenzt werden dann einige Wirtshäuser weiterleben, wenn das Wirtshaus zum lokalen Ballermann-Ersatz (Clubs usw.) umfunktioniert wird. Aber das wird nicht lange anhalten, was man ja gesehen hat, als man ab den 1970ern die Tanzböden der Wirtshäuser zu – billigen – Diskotheken umgewandelt hat.
Schön, dass du den Mut hast, auch dem Hofbräuhaus die Wahrheit zu sagen.
Gruß Rudi
Lieber Rudi,
Du machst mir eine große Freude mit diesem öffentlichen Kommentar, für den ich Dir sehr danke. Manchmal denke ich mir, ob ich der Einzige bin, der kapiert, was gewissenlose Geschäftemacherei aus dem heimatlichen Kulturgut macht. Ein Fest zu feiern ist etwas Besonderes, Verantwortliches und Schützenswertes.
Du siehst das aus der Perspektive Deiner Region. Ich bin regelmäßiger Gast im Hofbräuhaus geworden. Dort hatte ich vor der Krise das Fehlen einheimischer Gäste bedauert. Jetzt stelle ich fest, dass Touristen insgesamt gesitteter waren als viele der dortigen neuen Ballermanngäste.
Wahrheit braucht Mutige und umgekehrt. Außerdem kann ich einen Nagel leicht auf den Kopf treffen, weil wir ja mit einem fast gleichnamigen Herrn am Tisch gesessen sind.
Herzliche Grüße
Sepp