Der Feldafinger

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Ein Feldafinger ist nicht etwa ein Münchner, sondern ein Einwohner der Gemeinde am Westufer des Starnberger Sees. Jetzt hat es das Spiel mit der Sprache an sich, dass daraus ein Fehlt-ein-Finger werden kann. Und dies ist in Bayern nicht nur ein Synonym für die Bierbestellung der Lehrlinge in der Schreinerei, sondern auch ein Ausdruck für Schankbetrug. Man kann diesen sogar mit der Bezeichnung Fehlt-zwei-Finger steigern. Der Feldzwoafinger ist etwas seltener, jedoch im Bereich des Möglichen. Er kann auch als Feldafinger, aber der Länge nach bezeichnet werden. Durch die Verwendung von Trinkgefäßen aus Glas ist der Feldkoafinger zum Regelfall geworden. Nachteil ist, dass man sich nicht über den fehlenden Finger aufregen kann. Zur Förderung des Feldafingers hat uns aber die EU neue Glaskrüge aufgezwungen, bei denen sich die Füllstriche zwei oder drei Millimeter über der umlaufenden Kerbe oberhalb des Griffs befinden. Außerdem wird von der Stadt München eine Toleranzgrenze von zehn Prozent weniger Bier bei Volkfesten eingeräumt. Somit ist es durchaus verständlich, dass der Feldafinger trotz Biergläsern, Füllstrichen und behördlichen Kontrollen überlebt.

In Gaststätten ist der Feldafinger eine Seltenheit, bei Volksfesten und in einzelnen Biergärten der Regelfall. Füllmengen unter dem Eichstrich werden in Abhängigkeit von Häufigkeit und Ausmaß geduldet. Weniger als zehn Prozent Füllung und mehr als die Hälfte aller ausgeschenkten Biere müssen freilich als vorsätzlicher Betrug angesehen werden. Verantwortliche bemerken es durch Computerkassen, wenn beim genau festgelegten Inhalt eines Biercontainers oder Bierfasses mehr als die Füllmenge abgerechnet wird. In diesem Fall müsste das Schankpersonal zum korrekten Zapfen aufgefordert werden. Schankbetrug wird aber meist mit dem Hinweis auf die durch Schaum mögliche, jedoch wenig vorhandene Steigungsfähigkeit des Inhalts bestritten. Außerdem muss ein Zusammenhang mit den Stimmungen und Launen des Personals und dem geringen Füllungsgrad von Krügen oder Gläsern bestehen, weil Angestellte beim Hinweis meist verärgert reagieren. Die Aussage eines Kellners, man müsse die Feststellung des schlechten Einschenkens dem Chef mitteilen, lässt stark vermuten, dass der Schankbetrug von der Geschäftsführung angeordnet worden ist.

Zum Bierzapfen braucht man keine besondere Ausbildung oder Bildung, sondern einfach nur Übung und Verständnis für den Wohlgeschmack des Getränks. Dazu gehören angemessene Füllung und frisch gezapfte Schaumkrone. Vorzapfen oder Zusammenschütten von Bier aus mehreren Gläsern sind schwere Verstöße gegen die Bierkultur. Dies wird aber mittlerweile vor den Augen von Öffentlichkeit und von verantwortlichen Betreibern praktiziert. Die Vergangenheit lehrt, dass Andrang und Schlangen an Schänken auch ohne Vorzapfen zu bewältigen sind. Somit ist Vorzapfen ein Ausdruck von Ungeschick und Trägheit. Mit Draufschenken lässt sich viel lufthaltiger Schaum erzeugen, der bald zusammenfällt. Schnell aufsteigender und rasch schwindender Schaum kann deshalb als Methode angesehen werden. An der Schänke des Biergartens auf dem Viktualienmarkt wird nicht draufgeschenkt. Man verwendet einen eigenen Krug mit Schaum um zusammengefallenen Schaum kurzfristig zu erneuern.

Die Suche nach dem Feldafinger ist gelegentlich durch mittlerweile computergesteuerte Schankanlagen erschwert. Das handwerkliche Bierzapfen wird aber häufig in touristisch hervorgehobenen Gastronomiebetrieben zur Schau gestellt. Touristen fotografieren gerne Männer am Zapfhahn vor einem Holzfass. Vielen ist sicher nicht bewusst, dass sich im Fass keine Bier, sondern nur die Leitung zum Container oder Metallfass befindet. Dieser kleine Schwindel ist übersehbar, trotzdem wird man um den Wohlgeschmack des Biers aus Holzfässern betrogen. Glücklicherweise nimmt der traditionelle Ausschank aus Holzfässern wieder zu. Dies ist jedoch ein größerer Arbeitsaufwand, der dem Billig-, Automatisierungs- und Supermarktdenken widerspricht. Meist steht im Zusammenhang, dass sich Wirte persönlich um das Wohl der Gäste kümmern oder sie zumindest begrüßen. In solchen Betrieben sind Feldafinger versehentliche Ausnahmen. So ist es vermutlich in der Vergangenheit gewesen, als Gastwirte der Elterngeneration noch keine Erben und abkassierende Betriebswirte waren.

Die Art der Feldafinger entstammt der Gattung der Wolperdinger, die es als Fabelwesen eigentlich gar nicht, aber dann doch wieder irgendwie gibt. Der Feldafinger ist vom Aussterben bedroht, genießt jedoch Artenschutz durch die Stadtverwaltung München. Bevorzugter Aufenthaltsort des Feldafingers ist der Biergarten auf dem Viktualienmarkt. Dort bekommt man im Regelfall bei der Bestellung eines halben Liter Biers einen Feldafinger. Der Schankbetrug passiert vor den Augen der heimischen, touristischen und städtisch zuständigen Öffentlichkeit. Belohnung für die angemessene Arterhaltung und Pflege des Feldafingers ist die dauerhafte Vergabe des Biergartenbetriebs als sichere Einnahmequelle in zentraler Lage mit einem nie versiegenden Touristenstrom. Dazu gibt es Bierzelte auf dem Oktoberfest und die Durchführung von Veranstaltungen, die von der Stadtverwaltung gefördert werden.

Beim Wolperdinger kann man sich eine Vorstellung mit Tierpräparaten machen, beim Feldafinger mit den nachfolgenden Fotografien. Eine Rechtfertigung, dass bereits getrunken wurde, ist nicht möglich, weil die Schaumränder vollständig sind und mehrere Personen anwesend waren. Touristen beschweren sich nicht über geringe Füllmengen, weil sie diese vielleicht für normal halten oder mit üblichen Gepflogenheiten nicht vertraut sind. Stammgäste gewöhnen sich an Betrugsabsichten. Geschäftsführer bereichern sich unrechtmäßig. Kommunalpolitiker vergeben Gastronomie-Konzessionen, weil sie vermutlich freigehalten oder vielleicht sogar geschmiert werden. Journalisten dürfen so etwas nicht schreiben, weil es nicht im Interesse des Arbeitgebers wäre. Ich kann und darf über den Feldafinger auf dem Viktualienmarkt berichten, weil meine Wahrnehmungen und Fotografien diesen belegen.

Feldafinger vom Viktualienmarkt
Schankbetrug
Feldafinger vom Viktualienmarkt
Schankbetrug
Feldafinger vom Viktualienmarkt
Schankbetrug
Feldafinger vom Viktualienmarkt

5 Kommentare

  1. Liebe Gäste,

    nach Jahren besuchte ich diesen fragwürdigen Gastronomiebetreib wieder. Der touristische Erfolg ist trotz Corona weiterhin unbegrenzt. Die Betreiber haben die Pandemie genutzt, um den Bedienbereich gegenüber den preiswerteren Selbstbedienungsbereich zu erweitern.

    Der Schweinsbraten war vertrocknet, die Kartoffelknödel zeigten eine gummiartige Geschmacklosigkeit. Mit Packerl-Soße konnte man das Gericht wenigstens essen. Die städtisch verpachtete Touristenfalle schlägt mehr denn je zu.

    Das Feldafinger-Bier hat in der Zwischenzeit einen unverschämten Spitzenpreis erreicht. Am 27. Juni 2022 zahlte ich immerhin 5,50 Euro für den nicht vorhandenen halben Liter.

    Bitte besuchen Sie diesen sogenannten Biergarten am Viktualienmarkt um meine Bewertung zu überprüfen.

    Herzliche Grüße
    Josef

  2. Liebe Gäste,

    unter den Münchner Veranstaltungen war der gestrige Tag der Blasmusik und Tracht auf dem Viktualienmarkt ein Höhepunkt. Im Gastgarten beim Imbiss- und Getränkestand, der oft auch Biergarten genannt wird, gab es Musik und Tanz. Man sah viele Stammgäste der Traditionsgaststätten in der Altstadt, z. B. Musikanten, Trachtler, Künstler, Politiker, Gastronomen. Touristen waren aber kaum zu erkennen.

    Mehrfach hatte ich eine Halbe Bier bestellt und den halben Liter auch bekommen. Verärgert bemerkte ich zu meinen Tischnachbarn, dass man sich heute nicht einmal über den hier üblichen Schankbetrug aufregen könne. Lachend stimmten sie mir zu.

    Daraufhin fragte ich den Kellner, ob die Schänke wegen des Festes und der besonderen Gäste die Anweisung habe, korrekt einzuschenken. Er grinste und bestätigte mir einen solchen Auftrag an das Personal. Ich bedauerte ihn, weil er ja 20 Prozent mehr Gewicht tragen musste.

    Am heutigen Montag ist die Welt wieder in Ordnung. Es kommen wieder Touristen, und der Feldafinger wird wieder zum Standard im Servicebereich bei den Tischen vor dem Imbissstand.

    Herzliche Grüße
    Josef

  3. Liebe Gäste, heute ist etwas Großartiges und Unglaubliches passiert. Jemand ist mit der Internet-Suche nach “Feldafinger Bier” hier fündig geworden. Die Enttäuschung wird vermutlich groß gewesen sein, dass es diese Spezialität nicht überall zu kaufen gibt. Herzliche Grüße, Josef

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