Es gibt viele Möglichkeiten den Winter auszutreiben. Als Dorfkind kämpfte ich im Schulspiel symbolisch mit einem Freund um die Vorherrschaft. Er hatte Pelzmantel und Fellhaube an, ich war mit kurzer Lederhose bekleidet und mit einem Blumenkranz am Kopf geschmückt. Heute sitze ich am Bildschirm und erarbeite als Nachfolger für mein Wintermärchen ein Fotobuch und eine Fotostrecke mit Frühlingsblicken. Es ist herrlich, bei diesem unangenehmen und nasskalten Wetter aus dem Fenster zu schauen, dann den Blick wieder auf den Frühling am Bildschirm zu richten. Als ich die Bilder aufnahm, empfand ich die Ansichten und Augenblicke einfach nur als schön. Heute gefällt es mir, dass ich mich mit diesen Frühlingsblicken auf die neue Jahreszeit freuen und bei Tivolifoto symbolisch den Winter austreiben kann.
Die Macht des Winters zeigt sich oft plötzlich mit einer geschlossenen Schneedecke. Der beginnende Frühling wird meist nicht mit den Augen wahrgenommen, sondern mit der Luft erspürt oder von Vögeln erzwitschert. Man sieht den Frühling mit dem Blühen von Pflanzen und dem Treiben von Blättern. Dazu ereignen sich oft Wettergegensätze. Wenn die Sonne junge Blätter und Blüten anstrahlt und im Hintergrund dunkle Wolken aufziehen, ergeben solche Kontraste besonders schöne Ansichten. Die Fotomotive meiner Frühlingsblicke sind wie so oft bei Tivolifoto Eisbach, Trambahn, Tennisplatz, Universität, Tucherpark, Olympiaturm, Chinesischer Turm und natürlich das Panorama des Englischen Gartens. Wer genau hinschaut, entdeckt aber auch Fernblicke zu Sankt Ludwig, zum Windrad in Fröttmaning und zum Heizkraftwerk in Unterföhring.
Mir gefallen meine Fensterblicke. Nachbarn aus meinem Heimatdorf in Niederbayern sagten bei einem Besuch mit einem Schmunzeln, dass es hier viel schöner sei als im Dorf. Ein Besucher, dem ich vor einigen Jahren eine Kamera verkaufte, war begeistert über meinen Ausblick. Eine Kommentatorin von Tivolifoto schrieb, dass ich mit dem Blick aus dem Fenster reich beschenkt bin. Die freundlichen und wohlwollenden Kommentare zu Tivoli im Schnee stellten die Schönheit der Fensterblicke fest. Den Kindern am Tivoli versprach ich schon vor Jahren, dass ich ihnen die Aussicht zeige. Jetzt sind aus den neugierigen Kindern Jugendliche geworden, die andere Interessen haben, und ich zeige meine Fensterblicke öffentlich bei Tivolifoto.
Mein ursprüngliches Vorhaben war, dass ich die Bilder aus dem Fenster in der Gesamtheit darstelle. Ein derartiger Beitrag hätte aber eine verwirrende inhaltliche Vielfalt. In meinen bisherigen Artikeln finden sich bereits etliche dieser Ansichten. Seit sieben Jahren besteht ein Ordner mit dem Namen Fensterblicke in meiner Fotosammlung. Ich führte diese Fotos von einer zeitlich strukturierten in eine einheitliche, inhaltliche Ordnung über und wurde von der Menge überrascht. Von 2004 bis 2012 ergaben sich über 2000 Dateien in 35 Ordnern.
Auffallend sind die Abhängigkeiten der Bilder von Tageszeit und Nachtzeit, Licht und Schatten, Wind und Wetter, Jahreszeit und Vegetation sowie von meinen Befindlichkeiten, Vorhaben und Erkenntnissen. Die neue inhaltsbezogene Gliederung der Fensterblicke macht es mir einfach den Aspekt des Frühlings herauszufiltern. Wenn ich mit Auswahl und Anordnung der Bilder beginne, dann möchte ich, Wiederholungen vermeiden. Ich beabsichtige aber die attraktivsten Frühlingsblicke über den Tivoli in München vorstellen.
Mit diesem Beitrag versuche ich so wie beim Wintermärchen die Schönheit und die Stimmung meiner Fensterblicke zu zeigen. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass meine Blicke auf Ansichten, Situationen und Ereignisse erst einmal nur mir gefallen. Ich bin gespannt, ob die Betrachterinnen und Betrachter meiner Frühlingsblicke eine Beziehung dazu herstellen können. Ich glaube, dass die Attraktivität von Fotomotiven individuell unterschiedlich ist und erlernt wird. Ich möchte mich nicht mit Wahrnehmungstheorie im Bereich des Sehens beschäftigen. Das hätte vermutlich eine Einschränkung der Freiheit beim Herangehen an neue Vorhaben und beim Erarbeiteten von Beiträgen zur Folge.
Eine Erkenntnis muss ich aber bei der Betrachtung der Bilder mit auf den Weg geben. Es handelt sich um das berühmte Goethe-Zitat: Man sieht nur, was man weiß. Wenn man über diesen Satz nachdenkt, dann ermöglicht er viele individuelle und allgemeine Einsichten. Man kann ihn auf andere Sinnes- und Lebensbereiche anwenden. Nicht die Wahrnehmung mit den Augen, sondern erlerntes Wissen und angeeignete Fähigkeiten machen uns zu Sehenden. Sehen ist ein Lernvorgang für Sehende. Die Attraktivität von Fotomotiven wird erlernt.
Liebe Besucherinnen und Besucher von Tivolifoto, wenn Sie Wintermärchen und Frühlingsblicke anschauen, dann muss ich der Ehrlichkeit halber auch festhalten. Wären meine Fensterblicke andauernd so schön wie auf den Bildern, dann könnte man es vor lauter Schönheit hier gar nicht aushalten. Zur Schönheit gehören die Gegensätze wie zum Beispiel das Regenwetter am heutigen 8. März 2012. Ich danke Ihnen für das Lesen und Anschauen. Hoffentlich ist es mir gelungen, mit diesen Bildern den Winter auszutreiben.