Der Fluch vom Tivoli

Der Fluch vom Tivoli ist erst einmal die von der Natur gegebene und von Menschen geformte Lage zwischen Isar und Englischem Garten in München. Verflucht ist die Möglichkeit, dass man an diesem Ort mit Immobilien und Verkehrswegen besonders viel Geld verdienen und Besitz vermehren kann. Gemeint ist zudem das Natur-, Beton-, Stahl- und Glas-Ghetto für Kapital und Unterkunft mit dem Namen Tucherpark. Ein Fluch ist der automobilisierte, aber häufig stehende Individualverkehr auf dem Isarring und dem Zubringer Ifflandstraße. Noch ein Fluch ist die Teilung des Englischen Gartens.

Der ultimative Fluch vom Tivoli ist jedoch wenig bekannt. Es handelt sich um Werden und Vergehen oder um Zerstörung und Vergeltung, vielleicht sogar um Rache. So ein Fluch geht natürlich über Generationen hinaus und kann zu immerwährender Blutrache führen. Tivolifoto ist bestrebt, sich in solchen Angelegenheiten möglichst neutral zu verhalten, sieht sich aber in der Pflicht, darüber zu berichten.

Wahrscheinlich begann es im Frühjahr 2012. Bei meinen Fahrradfahrten zum Aumeister bemerkte ich, dass jemand Steine und Äste in bestimmten Anordnungen an der Einmündung eines Fahrradwegs aus dem südlichen Teil des Englischen Gartens in den Weg am Eisbach bei der Unterführung zum Isarring legte. Ich freute mich, in dieser Betonwüste über Hinweise auf die Anwesenheit eines Menschen, der etwas ausdrücken oder mitteilen will. Am 20. September 2012 nahm ich eine größere Formation von Ästen, Zweigen und Gegenständen war, die den Bereichen Natur und Müll zugeordnet werden können. Eine Person war beschäftigt, das Gebilde zu erweitern. Ich blieb stehen, um den Schöpfer zur Rede zu stellen und um Fotos zu machen. Die Person ihrerseits fotografierte auch.

Der Ort war sehr ungewöhnlich. Ich fuhr wie fast immer neben dem Eisbach in die Unterführung des Isarrings zum Zubringer Ifflandstraße. Dann kommt rechts eine Einmündung des Wegs von einer Brücke über den Eisbach mit der Abzweigung zum Tivoli-Kraftwerk. Die Verkehrsführung für Fußgänger und Radfahrer an dieser Stelle ist so kompliziert, dass mich Personen häufig nach dem Weg fragen. Die Verantwortung für die Verkehrsplanung an diesem Ort liegt bei den Menschen, die für die zweite Zerstörung Münchens nach dem Zweiten Weltkrieg zuständig waren.

Die beobachtete Person scheint aber zwischen den Straßen, Wegen, Unterführungen und dem Eisbach eine neue Aufbauleistung zu betreiben. Der Mann sammelt offensichtlich Äste, Zweige und Steine die der Natur sowie Gegenstände, die den Abfällen des Automobilverkehrs der direkten Umgebung zu verdanken sind. Er ist sehr freundlich und erklärt mir sein Handeln mit verständlichen Aussagen, die ich allerdings nicht mehr genau nachvollziehen kann. Jedenfalls kommen Personen der Zeitgeschichte, der Religionen und des Fernsehapparats darin vor. Ich beglückwünsche ihn zu seinem schöpferischen Tun, das mich als vorbei fahrenden Radler erfreut.

Dann geschah die unglaubliche und höchst verbrecherische Tat. Jemand zerstörte das Kunstwerk. Beim Wiederaufbau erklärte mir der Baumeister, dass dies Teil seiner Kunst ist, weil es das Vergängliche zeigt. Er berichtete mir, dass ein Mann von Spaziergängern beobachtet wurde, wie er das Objekt mutwillig zertrampelte. Es handelte sich dabei um einen glatzköpfigen Anhänger der Freikörperkultur, der häufig an der östlichen Eisbach-Wiese vor dem Tivoli-Kraftwerk anzutreffen ist. Freundinnen und Freunde der sich entwickelnden Eisbach-Kunst hatten sich sogar schon bei die Schlösser- und Seenverwaltung über diesen Verbrecher beschwert. Die für den Englischen Garten zuständige Behörde erklärte sich jedoch für nicht zuständig, weil kein staatliches Eigentum beschädigt wurde. Der Künstler baute einfach wieder auf.

Nicht nur das, er erweiterte seine Kunst um zwei neue Objekte. Und wie das bei der Kunst so üblich ist, weiß man als Betrachter natürlich nicht immer, was gemeint ist. Das Hauptwerk scheint ein Schiff mit Bug, Heck und Planken zu sein. Bei einer Neuschöpfung erkennt man eine Eule zwischen zwei Baumstämmen. Beim dritten Werk weigert sich meine Phantasie Ergebnisse zu liefern. Das ist auch gar nicht notwendig, weil am nächsten Tag alles wieder von dem besagten Übeltäter eingeebnet wird.

Ich bitte alle FKK-Anhänger vor Ort um Entschuldigung, wenn sie ohne Haupthaar sind und mit diesem Fluch nichts zu tun haben. Der Schöpfer sieht die Flachlegung seiner Werke schon als Zerstörung, aber als Teil seiner Kunst. Im Jahr 2012 sah ich die Ereignisse so wie er als schicksalhaftes Werden und Vergehen. Mittlerweile ist 2013, und der zerstörende Übeltäter betreibt immer noch sein Werk. Sollte ich ihn sehen, werde ich eine Fotografie anfertigen, die ihn mit oder ohne Bekleidung zeigt und die einen so dicken Balken vor dem Gesicht hat, dass man ihn bestimmt erkennt. Gleiches erwarte ich natürlich von den Leserinnen und Lesern dieser Zeilen. Problem ist jedoch, ob die Kunst des Fluchs vom Tivoli dann eine Fortsetzung findet. Wenn man aber der Natur freien Lauf lässt, dann würden Wind und Wetter sowie Verwitterung und Schwerkraft auch zum Fluch vom Tivoli beitragen.

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Anfänge dieses besonderen schöpferischen Ereignisses am Tivoli im September 2012

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Die Umgebung des Isarrings und Zubringers Ifflandstraße bietet vielfältigen Schmuck.

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Zerstörung durch den Fluch vom Tivoli Ende September 2012 und trauernde Angehörige

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Wiederaufbau in altem Glanz mit zahlreichen Verbesserungen Mitte Oktober 2012

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Die neue Zerstörung bewirkt Beschwerden von Spaziergängern bei der Parkverwaltung.

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Der zweite Wiederaufbau erfolgt mit zahlreichen neuen Fund- und Schmuckstücken.

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Werden und Vergehen – großartige Leistungen des Wiederaufbaus vor dem Winter

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Zweites Werk in der Umgebung ohne Möglichkeit einer gegenständlichen Zuordnung

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Eule auf einem Zaun zwischen zwei Bäumen bei der Bewachung ihres Reviers

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Mühsamer, aber hoffnungsvoller und sehr erfolgreicher Wiederaufbau Ende April 2013

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Dieses Werk hat nun ein Eulenpaar, eine Nummer und eine unüberwindbare Schutzzone.

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Das Zweitwerk im Glanz neuer Details und besonders sicherer Materialverbindungen

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Der Fluch vom Tivoli – David Bowie in Heroes: „We can be Heroes just for one day

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„The Show must go on“ oder „Welcome Back My Friends to the Show That Never Ends

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Schauen und kaufen Sie Fluch des Tivoli II wegen des großen Erfolgs von Fluch I demnächst bei Tivolifoto!

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25 Kommentare

  1. Lieber Claus Reisinger, Deine Freundin hat mir heute Abend an unserer Trambahnhaltestelle mitgeteilt, dass Du mit nur 60 Jahren von uns gegangen bist. Das bewirkt bei mir Trauer um Dich und Beileid für Deine Freunde und Angehörigen. Ich habe mich bei meinen Radlfahrten vom Tivoli zum Aumeister immer gern mit Dir unterhalten, obwohl wir uns gar nicht gut kannten. Du hast kunstvolle Werke im Englischen Garten geschaffen, die einzig- und großartig waren. Damit bleibst Du im Gedächtnis vieler Menschen. Vermutlich gibt es hier die umfangreichste fotografische Sammlung Deiner Kunst. Ich danke Dir für diese Form des Ausdrucks, der Mitteilung und der Unterhaltung. Jetzt sollst Du in Frieden ruhen, und wir erinnern uns gerne an Dich. Herzlichen Dank, Josef

    • Da ist wohl jemand schwer mit neuen Werken zu den Nibelungen und der Schatzinsel sowie zu Tom und Huckleberry beschäftigt. Ich hoffe, es gab kein Unglück, und sitze hinter dem Ofen. Schande über Tivolifoto, aber die Rache vom Tivoli wird kommen. Herzliche Grüße, Josef

  2. Lieber Josef, Dank Deiner Fotos von diesen Kunstwerken, sind diese für die Ewigkeit erhalten und auch wenn der Zerstörer die vergänglichen Originale vernichtet, Deine Bilder geben diesem Künstler Unsterblichkeit. Vielleicht freut er sich darüber. Liebe Grüße ins Lehel.

    • Liebe Elisabet, das ist kurios. Der Künstler will das Vergängliche zeigen, aber die Bilder im Internet machen seine Werke unsterblich. Mittlerweile habe ich mit ihm bei einem neuen Aufbau gesprochen. Er freut sich sehr über meinen Beitrag und das Fotobuch. Liebe Grüße nach Johanneskirchen, Josef

  3. Hallo,
    ich kenne den Künstler persönlich. Er ist ein sehr kreativer Mensch. Ich freue mich, dass er auf diese Weise ein Publikum für seine fantasievollen Werke gefunden hat.
    Liebe Grüße
    Karin

    • Lieber Mr. Rei-Singer, die Blumen-Karin hat mir Deinen Namen schon mitgeteilt. Ich freue mich, dass Du den Beitrag endlich entdeckt hast und dass er Dir gefällt. Wir sind uns seit einem halben Jahr einfach nicht mehr über den Weg gelaufen. Dabei habe ich immer dieses Fotobuch für Dich in der Fahrradtasche. Schreib mir doch einfach Deine Postanschrift in das Textfeld ganz unten, dann lege ich es in den Briefkasten. Ich habe schon bemerkt, dass Du wieder am Aufbauen bist und der Zerstörer sein Unwesen treibt. Meine neuen Bilder sind vermutlich bereits ausreichend für einen halben Fluch vom Tivoli II. Wahrscheinlich wirst Du Dich heute sehr freuen, weil Deine Werke weltweit zu sehen sind und hier so positiv bewertet wurden. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg für Deine Kunst für einen Tag. Wenn ich Glück habe und das Wetter passt, dann kann ich diese erneut dokumentieren. Mir ist sogar das versteckte Werk Nummer Vier bekannt, welches noch nicht zerstört wurde. Herzliche Grüße an den Künstler und Nachbarn am Tivoli, Josef

  4. Ein toller Bericht, wunderbar fotografisch dokumentiert. Es steckt eine Menge drin, in dem Tun des Künstlers, der Zerstörung, dem Wiederaufbau…ja der ganzen Geschichte.
    Ich danke dir für diesen Gedankenanstoß.
    Viele Grüße
    Elke

    • Liebe Elke, ich danke Dir für diesen freundlichen, wohlwollenden und lobenden Kommentar. Ich bin nur der Vermittler. Für die schöpferischen Gedanken und Kräfte muss man dem Künstler danken. Herzliche Grüße vom Tivoli in München, Josef

  5. Hui – mal ganz was Anderes… Aber gut!
    Treffende Kommentare, humorvoll und tiefsinnig – gleich dem Werk des „Meisters“.

    Hauptwerk-Zweitwerk-Eule, drei neue Sehenswürdigkeiten der Landeshauptstadt.

    Grüße an Josef den Fotokünstler und den „im Freien schaffenden“ Freischaffenden…

    Stephan und Lucie

    • Vielen Dank, jetzt verrate ich Euch ein Geheimnis. Der Freischaffende weiß gar nichts von dem großen Glück, dass er und seine Werke bei Tivolifoto veröffentlicht werden. Das ist auch nicht unbedingt notwendig, weil er sich öffentlich präsentiert. Ich wollte es ihm vorher mitteilen, aber das Wetter hat in den letzten zwei Wochen kein Zusammentreffen möglich gemacht. Jetzt lassen wir uns hier alle von seiner Reaktion oder Zurückhaltung überraschen. Das ist viel spannender als alle Vorüberlegungen und Planungen. Herzliche Grüße, Josef

      • Wir sind gespannt.
        Möge der Meister seine Werke auf Tivolifoto entdecken und möge dies seinem Schaffen Flügel verleihen. (Bei der Gelegenheit wird der Freiluftkünstler gewiß den ein oder anderen Blick auf die hier, reichhaltig dargebotene, Fotokunst werfen.)

        Wir grüssen die Kunstschaffenden!

        Die Zwoavomwoid

  6. Hinter diesen Kunstwerken steckt etwas Tiefgründiges, da hat sich der Erschaffer wirklich viel Gedanken gemacht. Dank deiner umfassenden Beschreibung weiss ich nun, wo diese Schätze zu finden sind, ich werde diesen alsbald einen Besuch abstatten…
    Was die systematische Zerstörungswut des FKK’lers anbelangt, kommt mir jetzt grad der alte Spruch in den Sinn: „Es kann der Bravste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“…
    Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!

    • Schätze sind das aber nur, wenn alles wieder aufgebaut ist. Dann kann ich einen Besuch empfehlen. Zweitwerk und Eule sind schön gelegen, aber das Hauptwerk ist das einzige Schöne vor Ort. Unglücklich für die Ansicht, aber nach Aussage des Künstlers sehr hilfreich ist der Mast, weil das Licht die Arbeiten im Spätherbst auch bei der früh einbrechenden Dunkelheit ermöglichte. Schönen Regensonntag in München, Josef

    • Meine Sympathie für den Schöpfer und die Ablehnung der Zerstörung kommen schon zum Ausdruck, aber irgendwie gehört beides zusammen. Ich gehöre auch ein wenig dazu, weil ich mich meist veranlasst sah anzuhalten und zu fotografieren. Vielleicht bin ich auch nur der Spielball in einem abgekarteten Spiel. Nach Deinen Worten mache ich meinen Teil aber gut, und das freut mich. Dankeschön und herzliche Grüße aus München, Josef

  7. Lieber Josef, ein sehr interessanter und gut durchdachter Beitrag. Hier hat sich wohl jemand in die Zerstörung verbissen und bezieht daraus welche auch immer Genugtuung. Man kann nur mutmaßen.

    Mir gefällt deine neutrale Darstellung, deine dennoch persönliche Stellungnahme und klare Äußerung. Du bist damit in ein neues Feld der Möglichkeiten von Blog-Beiträgen eingetreten, die mir durchaus sympathisch ist und die ich als recht gelungen empfinde.

    Meinen Glückwunsch!

    Marion

    • Liebe Marion, vielen Dank für Bewertung und Wunsch. Wer häufig private und persönliche Beiträge im Internet veröffentlicht, der weiß, dass man geneigt wird, Bemerkungen der Freude, des Gefallens, aber auch des Missfallens mitzuteilen. Verhaltensbewertung von Menschen ist ein sehr vielschichtiges Feld. Der Beitrag soll wie mein Leitgedanke mit Tivolifoto unterhalten und erfreuen. Natürlich ist der Artikel auch ein wenig Auszeichnung für den Schöpfer und Pranger für den Zerstörer, aber das ist nicht so wichtig. Herzliche Grüße, Josef

  8. Die Geschichte ist ja einmalig! Und was da entstanden ist, das hat wirklich etwas von einem Kunstwerk! Interessant auch die diversen Details, die man auf deinen Fotos wunderbar erkennen kann.
    Warum wohl jemand so penetrant den Wunsch hat, das alles zu zerstören?

    Toller Blogpost!

    LG Michèle

    • Die Frage kann vielleicht sogar der Täter selbst nicht beantworten. Vielen Dank für Deine Bewertung und herzliche Grüße vom verfluchten Tivoli in München nach Hamburg, Josef

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