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Ist das Leberkäse?

Ist das Leberkäse?
Leberkäse, Industriebier, aufgetaute Industriebrezn, Plastiksenf und die Notizen von Tivolifoto

Weil der Viktualienmarkt in München zu meinem fotografischen Schwerpunkt 2015 wird, besuche ich natürlich auch die gastronomischen Einrichtungen auf und am Markt. Ein Zentrum meiner Ermittlungen und Ansichten ist selbstverständlich der dortige Biergarten. Allein bekommt man da immer einen Platz. In Begleitung oder in einer Gruppe ergeben sich häufig Wartezeiten bis jemand aufsteht. Freie Sitzplätze werden meist schnell wieder besetzt – außer bei widrigen Wetterverhältnissen oder zu fortgeschrittener Stunde. Es gibt einen kleinen Bedienbereich mit bequemen Stühlen und einen großen, in meinen Augen ungemütlichen Plattensee mit Sitzbänken, so dass sich etwa 1000 Gäste versammeln können.

Jeder München Besucher muss zwingend einmal den Münchnern so einen begehrten Platz weggesessen haben. Stammtische und Reservierungen sind eher die Ausnahme. Bier wird im Wechsel von den sechs Münchner Traditionsbrauereien ausgeschenkt. Dabei handelt es sich um einen belgischen und einen holländischen Konzern sowie einen bayerischen Staatsbetrieb und eine Münchner Brauerei. Das letzte Angebot kann man durch münchnerischen Charakter und Wohlgeschmack gegenüber den Industriebieren leicht erkennen und erschmecken. Zur Biergartentradition gehören das Dazusetzen an den Tischen und der Verzehr von mitgebrachten Speisen. Im Bedienbereich muss man natürlich nach einer Speisekarte bestellen. Ich lasse mich gerne bedienen und bevorzuge fotografisch sinnvolle Plätze.

Bei einer Platzsuche werden am großen runden Tisch neben dem Hauptweg des Markts Stühle frei, so dass ich mich dazusetzen kann. Die Tischgesellschaft entwickelt sich mit einem vergnügt blickenden, klassisch gekleideten Herrn und seiner lautstarken, französisch-deutschen Bekannten sowie mit zwei kultivierten Damen aus Zürich und zwei aufgeweckten, jungen, holländischen Touristinnen. Ich sitze an meinen Aufzeichnungen zu den bisherigen Fotos zwischen Schweiz und Holland. Erst jetzt bemerke ich, dass unter dem Tisch ein dunkles Fellknäuel liegt, das wohl ein Hund ist. Die Holländerinnen bestellen Pretzel und Streichkäse. Der Auftrag wird von der Kellnerin in eine Portion Obazda und eine große Brezn übersetzt.

Als münchnerisch und gemütlich kann man die Atmosphäre nicht bezeichnen. Auf dem Weg gibt es Stau, weil Fremdenführer Vorträge für Touristengruppen halten. Neben dem Tisch ist ein wilder Fahrradparkplatz. Gäste haben Stühle vom Tisch weggestellt für einen Sonnenplatz mit Bier aus dem Selbstbedienungsbereich. Zwischendurch wird lautstark am Tisch und in der Nachbarschaft telefoniert. Die Bedienung serviert den Obatzten und die Brezn. Da fragt eine der Schweizer Damen, ob das Leberkäse sei. Eine Holländerin verneint und bemerkt, dass es wohl eher Emmentaler oder so etwas sei. Die Schweizerinnen entgegnen, dass dies nicht sein könne, weil sie Emmentaler kennen würden. Die für mich ungewohnte, aber angenehme Farbe des jeweiligen Sprachklangs ist leicht vorstellbar.

Ratlos schauen die Holländerinnen in die Speisekarte und stellen fest, gerade Obazda zu verzehren, den sie als Anpatzter aussprechen. Es entwickelt sich eine Diskussion, was das wohl sein könne. Die Begleitung des Herren klärt die möglichen Bestandteile wie Butter, Rahm oder Quark sowie Weichkäse und Camembert auf. Ich notiere mir die Dialoge und schweige. Jetzt fragt mich eine Schweizerin, ob ich ein Buch schreiben würde. Ich verneine und verkünde, dass ich nur Eindrücke und Situationen festhalte und soeben eine wunderschöne Vorlage für ein kurze Geschichte mit dem Titel: Ist das Leberkäse? bekommen habe. Empört erklärt die Züricherin, sie wüsste wohl, dass Leberkäse kein Käse sei, aber auf dem Teller wären ja auch Zwiebeln, Grünzeug und Gewürze gewesen.

Nach einer Weile verlassen die Schweizerinnen den Tisch und meine Zeit ist auch gekommen. Beim Abschiedsgruß an die verbliebene Tischgemeinschaft stelle ich entsetzte Blicke der Holländerinnen fest. Sie flehen mich an, dass ich meinen Hund nicht vergessen soll. Ich kläre die vermutlichen Hundebesitzverhältnisse auf. Der ältere Herr schmunzelt, und seine Begleiterin bekommt von mir mit einem Hinweis auf die baldige Lesbarkeit der Geschichte die Visitenkarte mit der Internet-Adresse von Tivolifoto. Meine letzte Wahrnehmung ist, dass sie die gesamten Ereignisse mit ihrem französischen Akzent als genial bezeichnet.

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