Pechbedienung

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Über das Mundwerk von manchen Kellnerinnen in Münchner Wirtshäusern ist schon viel geschrieben, erzählt und gelacht worden. Was einige Damen in diesen Einrichtungen von sich geben ist meist freundlich, heiter, humorvoll, trefflich und angemessen. Es gibt aber auch Hirn-, Respekt- und Rücksichtslosigkeit sowie Gschertheit wahrzunehmen. Gegen 16.00 Uhr war Personalwechsel. Ich hatte gut gegessen und getrunken. Meine Bedienung war sehr aufmerksam und freundlich gewesen. Einige Minuten nach 16.00 Uhr bezahlte ich, damit sie mein Trinkgeld noch mitnehmen konnte. Die Kellnerin meinte, dass ich bei ihrer Nachfolgerin noch etwas bestellen könnte. Diese nahm mich aber nicht zur Kenntnis und beschäftigte sich vermutlich mit einem Reservierungsbuch. Ich las die Zeitung, mein Bierglas war noch gut gefüllt, und ich überlegte, ob ich später noch eines bestellen sollte. Gegen 16.30 Uhr kam die neue Bedienung grußlos an meinen Tisch, heftete einen Zettel an die Speisekarte und sagte: “Sie haben Pech, weil der Tisch ab 17.00 Uhr reserviert ist.”

In dieser Situation wurde ich so überrumpelt, dass ich nichts erwidern konnte. Was war das doch für eine Frechheit von diesem gschnappigen, faltigen, falschblonden, aufgetackelten Weib, das der Aussprache nach nicht von hier sein konnte. Es ist schon ein schweres Schicksal, wenn sich aus hoffnungsvoller Jugendlichkeit ein faltiges Krokodil entwickelt. Sie hätte rechtzeitig einen vernünftigen Mittelweg zwischen Gesicht und Figur anstreben müssen. Außerdem war ihr offensichtlich durch ihr missglücktes Äußeres das Maß zwischen Bedienen und Beherrschen verloren gegangen. In ihrem Privat- und Arbeitsleben hatte sie vermutlich schon bessere Zeiten in einem nördlichen Teil Deutschlands gesehen.

Ihre runde, sympathische Vorgängerin, die mir noch lächelnd einen charmanten Nachmittag wünschte, hätte bestimmt andere Worte gefunden, z. B. in der Formulierung der Frage, ob es mir recht wäre, wenn sie den Tisch reservieren würde. Eine Bitte um Verständnis wäre auch angemessen gewesen. Als einzelne Person an einem Tisch macht man gerne Platz für eine Gruppe. Ich hätte mich ja an einen anderen Tisch setzen oder dazusetzen können. Auf den Internetseiten dieses von mir geschätzten Wirtshauses kann man über den großen Gastraum lesen, dass man sich hier ohne Reservierungszwang ganz ungeniert unter das Volk mischen kann. Jetzt war es also soweit. Ich hatte Pech, weil es in einer gemütlichen Münchner Wirtshausatmosphäre eine Reservierung zum legeren Beisammensein mit einem bunt gemischten Publikum gab. Im Internet las ich aber weiter, dass dieser Bereich mit einem in Klammern gesetzten Vorbehalt frei von Reservierungen bleibe. Man möchte eine legere Wirtshauskultur pflegen und befürworte eine Mischung aus einheimischem und auswärtigem Publikum. Außerdem bitte man Gäste, dass sie sich zu anderen an den Tisch setzen oder dass dieses erlaubt wird. Jetzt verstand ich. Das Wirtshaus verfolgt offensichtlich andere Ziele als die Pechbedienung. Ich war also Opfer eines Vorbehalts.

Trotzdem gehe ich gerne hin, weil es dort nach meiner Erfahrung derzeit die beste Leberknödelsuppe der Stadt und ein hervorragendes Tellerfleisch gibt. Der frische Meerrettich wird aber gelegentlich nicht frisch gerieben, sondern vorbereitet, womit das Aroma erheblich beeinträchtigt wird. Bei anderen Speisen stelle ich eine Qualitätsstreuung fest, die sich teilweise aus der Länge der Warmhaltung ergibt. Der Kartoffel-Gurken-Salat ist frisch, das Sauerkraut sauer, so wie es sich gehört, und die Brezn sind meist resch. Insgesamt bin ich mit den nicht ganz preiswerten Speisen zufrieden. Der Bierpreis ist aber für die Münchner Innenstadt bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Lokale in der Umgebung über einen Euro mehr verlangen. Unsitte ist es, nach 12.00 Uhr keine Bestellung von Weißwürsten mehr anzunehmen, weil der Grund dafür längst Geschichte ist. Als ärgerlich empfinde ich lautes Telefonklingeln mitten in der Wirtsstube. Das ist leider sehr häufig auch in anderen Münchner Gaststätten festzustellen. Dieses Wirtshaus hat eine gelungene Einrichtung, die Münchner Traditionen gerecht wird. In der biergartenfreien Zeit bin ich gerne dort, weil das Gesamtangebot der Münchner Wirtshauskultur entspricht. Außerdem treffe ich öfter zufällig mir bekannte Personen oder komme schnell ins Gespräch mit einheimischen und auswärtigen Gästen. Das will mir aber meine Pechbedienung an diesem Tag nicht zugestehen.

Und was mache ich, wenn ich etwas Ungewöhnliches erlebe oder beobachte? Ich hole mein Schreibwerkzeug aus der Fototasche und halte Bemerkenswertes mit Worten fest. Diese Vorgehensweise bescherte mir schon manches interessante Gespräch. Warum sitzt jemand im Wirtshaus und schreibt? Noch verdächtiger ist es, wenn ich den Fotoapparat auf den Tisch lege. Mit der Kamera alleine werde ich als Tourist eingeschätzt. Mit der zusätzlichen Schreiberei bin ich aber mindestens Journalist oder Restaurantkritiker. Jetzt beäugte mich die Pechbedienung etwas verunsichert. Mir war es aber zu blöd, irgendetwas von mir zu geben. Sie hatte mir ohne Absicht eine Geschichte zur Förderung der Münchner Wirtshauskultur geliefert.

Ich packte meine Waffen ein und ging zu einem weiteren Vorteil des Wirtshauses, den in der Nähe stehenden Taxis. Dies freut mich besonders, wenn ich beim Essen bemerke, dass es zu regnen anfängt. Dann habe ich einen guten Grund, nicht zur Trambahn zu gehen. Das Pech haben in diesem Fall die Münchner Verkehrsgesellschaft und meine Gesundheit. Das Pech mit so einer Bedienung hat nicht nur der Gast, sondern auch das Gasthaus. Ich empfehle dieses Münchner Wirtshaus aber nachdrücklich, weil wegen des einen giftigen Schwammerls ausnahmsweise nicht die ganze Suppe verdorben ist. Um welches Wirtshaus es sich genau handelt, ist gar nicht so wichtig. Es geht um die Münchner Wirtshauskultur.

4 Kommentare

  1. Hallo Josef, danke für die schöne Geschichte. Ich fange ja erst an, auf deiner Seite zu stöbern, bin aber schon begeistert. Dein Stil ist toll, wenn ich nur an deinen Text zu Datenschutz denke, einfach köstlich. Liebe Grüße Gisela

    • Liebe Gisela, zu meinem großen Bedauern muss ich mitteilen, dass ich keinen Stil habe. Sollte Deine Wahrnehmung anders sein, bitte ich um Mitteilung der Stilmittel für die künftige Verwendung. Herzliche Grüße, Josef

      Ich bedauere, Dir mitteilen zu müssen, keinen Stil zu haben, oder Du teilst mir Stilmittel mit, die ich dann verwenden kann.

  2. Hallo Josef,
    auch mir sind solche Bedienungen schon begegnet. Gott sei es gedankt sind das die Ausnahmen. Diese speziellen Dame, die Du sehr eindrücklich beschrieben hast (ich hatte sie fast bildlich vor mir), scheint mir „Integrationsresistent“ zu sein. Wir Münchner sind im allgemeinen sehr tolerant, aber das hat nun mal auch seine Grenzen.
    Ich kam hier zufällig auf Deine Tivolifoto-Seite und habe mir mit Interesse Deine Fotos angesehen und Deine Berichte gelesen. Die „Pechbedienung“ musste ich einfach kommentieren.
    Es grüßt Dich Susanne Häussler

    • Liebe Susanne, vielen Dank für die zahlreichen Seitenaufrufe und den freundlichen Kommentar. Ich freue mich sehr, weil Du auf diese Weise ohne persönliche oder sachliche Bezüge meine Arbeit wertschätzt. Danke für Dein Interesse. Wenn Du Tivolifoto mit einem Klick am rechten unteren Bildschirmrand folgst, dann wirst Du ohne Werbung oder Verpflichtungen automatisch mit einer E-Mail über neue Beiträge informiert. Herzliche Grüße vom Tivoli, Josef

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