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Der Radlpreiß

Meist sind Preißn in München für Verteuerung und Verdichtung von Wohnraum zuständig. Hier geht es aber um die Verdichtung in einem Fahrradraum. Bei meinem Einzug in die Mietwohnung am Eisbach waren leere Stellplätze im Radlraum der Normalfall. Etliche Mieter bevorzugten es, ihr Fahrrad auf dem freien und bequemen Platz vor dem Mietshaus abzustellen. Dazu wurden sogar neue Fahrradständer besorgt. Diese nahm man mehr oder weniger gut an. Freie Plätze an der Hauswand oder vor dem Gebäude fanden ebenfalls Verwendung. Im Lauf der Zeit veränderte sich die Mieterschaft. Als Folge stiegen die Anzahl und der Wechsel der im Haus wohnenden Personen. Damit vergrößerte sich auch die Zahl der Fahrräder.

Nun wohnen wir in einem sehr fortschrittlichen Haus, weil überhaupt ein Fahrradraum vorhanden ist. Für 24 Mietwohnungen stehen 22 Fahrradplätze zur Verfügung. Durch ständigen Mieterwechsel, Vier-Personen-Haushalte, Wohngemeinschaften und die zentrumsnahe Lage am Englischen Garten ist das Fahrrad immer beliebter geworden. Mit Rücksicht auf andere Mieter kann aber nur ein Fahrrad pro Wohnung untergebracht werden. Zudem ist die Häufigkeit des Gebrauchs bemerkenswert. Da gab es schon Fahrräder, die als Radlleiche einen Platz beanspruchten. Es kamen auch Hausbewohner, die den Fahrradraum mit einem Kellerabteil verwechselten. Eine Tischgarnitur, mehrere Skateboards, ein Eimer, ein Ball, ein Fahrradanhänger, ein Autokindersitz, zwei Schlitten, Spielzeug und Kinderräder bereicherten den Fahrradraum. Der Vergleich mit einer Rumpelkammer hat immer mehr Gestalt angenommen.

Ich beanspruche für mich lediglich einen Fahrradstellplatz, zu dem ich vom benachbarten Waschraum und bis zum Ausgang freien Zugang habe. Dazu müssen ich und andere Mieter gelegentlich wild abgestellte Räder umstellen und an eine Wand verdichten. Hierbei lehne ich die Fahrräder so aneinander, wie es beispielsweise in Bahnabteilen üblich ist. Mitbewohner, die ihr Fahrrad als Hindernis für andere abstellen, nehmen bewusst in Kauf, dass es umgestellt werden muss. Mein langjähriger Platz ist gekennzeichnet und bleibt frei. Es gestaltet sich aber zunehmend schwieriger, zu meinem Radl überhaupt zu gelangen sowie es aus dem schräghohen Ständer zu heben oder in diesen zu stellen. Der früher freie Durchgang und die Wand sind nämlich mit Fahrrädern verstellt. Ein Zu- und Ausgang ist somit nur durch Umstellen zu erreichen.

In einer solchen Situation kommt ein Nachbar mit seinem Nachwuchs in den Fahrradraum, will mit mehreren Rädern weiter verdichten und versperrt mir mit einem Fahrrad den Durchgang zu meiner Wäsche. Ich lehne sein Fahrrad zur Seite, so dass ich den Waschraum betreten kann. Er schimpft, und ich bitte ihn, sich nicht aufzuregen. Während ich mit meiner Wäsche beschäftigt bin, schimpft er weiter und beschuldigt mich, Schäden im Fahrradraum zu verursachen. Gelassen ertrage ich den zornigen Preißn und bitte ihn ruhig, seine grundlose Erregung zu beenden. Mit der Bezeichnung Preiß ist in München nicht nur die regionale Herkunft, sondern auch außerbayerisches oder außerirdisches Verhalten gemeint. Preißn benehmen sich nämlich dermaßen daneben und machen sich so lächerlich, dass man nicht die Mittel der Satire verwenden, sondern nur die Tatsachen berichten muss, um Heiterkeit zu erzeugen.

Einige Wochen später wird es wieder notwendig, den Weg zu meinem Fahrradplatz freizumachen. Der Radlpreiß betritt erneut den Raum, schimpft und verstellt mir den Weg zu meiner Wäsche mit seinem Fahrrad. Er behauptet, dass ich zu faul sei, außen herumzugehen. Dazu müsste ich einen Umweg mit drei Türen passieren, wovon zwei mit dem Haustürschlüssel zu öffnen wären. Der Waschraum liegt aber nur zwei Meter ohne Tür vor mir. Ich entferne sein Rad aus dem Durchgang, und er schimpft weiter, dass ich Fahrräder beschädigen würde. Es entsteht ein Gedankenaustausch, der mir nicht im Gedächtnis geblieben ist.

Jedenfalls versuche ich mit üblichem Harmoniebedürfnis, die gezielte Herausforderung aufzulösen. Die Niederschrift der Vorgänge im Fahrradraum bewirkt bei mir ein wohlwollendes Verständnis für die Angelegenheit wegen der Tragikomik des Radlpreißn. Wahrscheinlich ist er mit seinem Dasein in München als Radlpreiß einfach nur gelegentlich etwas überfordert. Höflichkeit gebietet, Wege frei zu machen oder Türen zu öffnen. Einen Durchgang mit einem Fahrrad zu versperren ist ja schon deshalb lächerlich, weil man das Gefährt einfach wegstellen kann.

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